
Baja Magica
Das Rauschen von auf den Sand prallenden Wellen weckt mich auf. Immer wieder höre ich, was in den letzten Monaten so vertraut geworden ist wie Vogelgezwitscher an einem frühen Sommermorgen zu Hause. Langsam dringt eine neue Erkenntnis in mein noch leicht vom Schlaf benebeltes Bewusstsein: Das Geräusch ist leicht modifiziert, tönt anders als ich es eigentlich kenne. Es ist nicht wirklich ein Rauschen, eher ein Zischen. Langsam drehe ich mich unter Decke und Schlafsack auf den Rücken und muss blinzeln. Als ich meine Augen öffne – steht die Sonne bereits einige Grad über dem Meer und strahlt mir vom stahlblauen Himmel direkt ins Gesicht. Langsam hebe ich meinen Kopf. Meine Augen schweifen übers Meer und plötzlich realisiere ich, was ich da gehört hatte: Das Ausatmen eines Wals! Sofort bin ich viel wacher. Ich stupse Lisa an und sage: «Ein Wal, Lisa da ist ein Wal ganz nahe an der Küste!»
So bin ich am Morgen meines Geburtstags auf der Ladefläche eines Pickup Trucks irgendwo an einem völlig verlassenen Strand am East Cape der Baja California aufgewacht – aufgeweckt von einem Wal. Nicht schlecht, oder!?
Die Baja California ist eine Wüste. Aber eine Schöne. Eine Magische.








Es fühlt sich an als ob wir in Vancouver einmal Anlauf geholt hätten und dann bis ganz an den Südzipfel dieser riesigen Halbinsel gefräst wären. 3000 km so ziemlich in einem Schnurz (abgesehen von kurzen Pausen in San Francisco, Tijuana und La Paz). Manchmal tragen einen die Füsse ganz zufällig an besondere Orte und so fühlt es sich an, als wären wir irgendwie über dieses kleine Juwel hier gestolpert.
La Fortuna. Ursprünglich wollten wir vielleicht einen Monat bleiben, nun sind wir seit über zwei Monaten hier. Das kleinen Dörfchen am Meer, wohin nur eine wenig befahrene, unbefestigte Strasse führt, hat es uns angetan. Unser Zuhause ist die Baja Station, ein noch in der Entstehung begriffener Ort der Unterkünfte à la AirBnB, geführte Ausflüge mit dem Boot und Equipmentvermietung anbietet. Wir helfen mit und bekommen so die Unterkunft gratis, sowie die Möglichkeit alles Wassersportequipment gratis zu nutzen. Was man im Wasser alles machen kann ist nämlich einer der Gründe, weshalb wir hier so gerne sind. Jeden Tag kann man auswählen: schwimmen, surfen, standuppaddeln, kayaken, schnorcheln, windsurfen, segeln, kiten oder speerfischen – oder eine Beliebige Kombination davon natürlich. Das Beste sind aber die Wale die hier in so grosser Zahl vorbei kommen. Es ist schon fast die Ausnahme ist wenn es an einem X beliebigen Zeitpunkt nicht irgendwo einen am Horizont zu sehen gibt, der mit einer grossen Fontäne ausatmet, seine Flossen aus dem Wasser streckt, oder in grossem Bogen aus dem Wasser springt und mit Getöse wieder ins Meer plumpst. Dazu kommen Rochen die einzeln oder teils in riesigen Schwärmen unterwegs sind, hübsche Kofferfische, verspielte Delfine, stachelige Pufferfische, imposante Seelöwen. Und, nicht zu vergessen, herzige Schildkröten die ihre Eier legen, deren Babies man manchmal am Strand findet und denen man helfen kann, es heil bis ins Wasser zu schaffen.








Ein zweiter Grund sind die anderen Freiwilligen hier in der Baja Station (so heisst das Hostel) und die kleine Gemeinschaft die wir hier gebildet haben. Anfangs waren wir zu fünft als Volunteers, inzwischen sind wir ganze 18. Plus Gio, der sonnengegärbte, lustige und irgendwie kurlige britischstämmige Besitzer. Plus seine beiden Hündinnen Mama und Papaya. Die Atmosphäre hier ist sehr entspannt. Pünktlichkeit wird klein geschrieben und Stress ist ein Fremdwort. Es gibt immer Zeit einen Kaffee zu trinken, ein Gespräch über Gott und die Welt zu führen, ein kaltes Bierchen zu öffnen, einen Shot Mezcal zu stürzen, sich spontan ein Surfbrett unter den Arm zu klemmen wenn die Wellen grad gut aussehen, mit den Hündinnen einen Spaziergang am Strand machen zu gehen, oder alles liegen und stehen lassen, ein SUP zu schnappen und aufs Meer raus zu paddeln wenn sich ein Wal nahe der Küste zeigt.








Spaziert man auf den Hügel rauf und blickt gegen Osten ist da der offene Pazifik; endlose, blaue Weite. Hin und wieder ein einsames Segel- oder Motorboot. Richtung Norden und Süden, entlang der Küste, erstrecken sich endlose Sandstrände, gesprenkelt mit vereinzelten Felsen. In Richtung Osten liegt das Hinterland der Baja; sandig, karg, trocken und doch bedeckt von Kakteen, stacheligen Büschen und Bäumen mit dicken, ledrigen Blättern. Ein Zuhause für erstaunlich viele Tiere. Darunter diverse Vögel, Echsen, Schlangen, Insekten, Esel, Ziegen und sogar Kühe. Was hier alles den harten Bedingungen der Wüste trotzt ist erstaunlich.










Bevor wir hier ankamen stand ich noch nie auf einem Surf- oder Paddelboard. Doch recht schnell fand ich Gefallen an beidem. Wenn kein Windchen weht (was praktisch jeden Morgen der Fall ist) und die Wasseroberfläche spiegelglatt ist, kann man sich mit dem SUP frei auf dem Wasser bewegen und raus aufs Meer paddeln. Einerseits ist das eine gute Möglichkeit für ein Ganzkörpertraining. Mehr noch als das aber einer der allerbesten Wege wie man die hier täglich vorbeischwimmenden Buckelwale sehen kann. Anfangs paddelten wir noch bei fast jedem Zeichen eines Wals am Horizont aufgeregt raus aufs Meer hinaus, in der Hoffnung näher ran zu kommen. Nach vielen Stunden auf dem Wasser und zahllosen gesichteten Walen sind wir inzwischen aber richtiggehende Snobs geworden. Wir lassen uns nur noch aus dem Häuschen bringen wenn die Tiere ganz nahe der Küste (weniger als 1 km) auftauchen.






Meist halten die Wale einen Abstand von einigen Hundert Metern von einem. Schon aus dieser Distanz wird einem klar, wie gross diese Tiere sind. Doch manchmal, wenn man Glück hat, werden sie neugierig und kommen näher, schwimmen um einen umher, inspizieren einen scheinbar. Auf dem SUP ist das eine wortwörtlich atemberaubende Erfahrung.
Als ich am 1. Januar nach einem gemütlichen Silvester aufwachte entschloss ich, das Jahr auf dem Wasser starten. Also ging ich zum Meer hinunter, sprang aufs SUP und begann zu paddeln. Am Horizont zeigten sich die Fontänen von ausatmenden und aus dem Wasser springenden Walen und so machte ich mich auf den Weg in ihre Richtung. Schätzungsweise 2 – 3 km von der Küste entfernt kam ich schliesslich immer näher. Mehrere paare aus Mutter und Jungem waren unterwegs. Eines schien immer näher zu kommen und ich paddelte noch etwas in ihre Richtung. Plötzlich brach das Junge circa 100 m von mir entfernt durch die Wasseroberfläche, flog hoch in die Luft, drehte sich langsam um die eigene Achse, landete mit lautem Getöse auf dem Rücken und verschwand schliesslich mit einer riesigen Fontäne in den Tiefen des Wassers. Wie im Film flog darüber hinweg eine Gruppe Pelikane. Mein Herz schlug schneller – von so nahe hatte ich das noch nie gesehen! Und dann passierte es gleich nochmals. Einige Minuten vergingen, in denen die Wale unter Wasser waren. Dann plötzlich schoss das Junge ungefähr 40 m entfernt wieder durch die Wasseroberfläche. Diesmal spürte ich sogar wie die Wellen des Aufpralls mein SUP ins Schwanken brachten und Adrenalin durchfloss meinen Körper. So nahe! Plötzlich bekam ich es leicht mit der Angst zu tun – was wenn das Ding auf mir landet! Ich hatte zwar gehört, dass die Wale sehr sanftmütig seien und Menschen nie verletzten. Doch wenn man Kilometerweit von festem Grund unter den Füssen und dem nächsten Menschen entfernt ist, macht man sich dann doch Gedanken ob man dieses Risiko – soklein es auch sein möge – eingehen möchte. Doch viel Zeit blieb mir nicht für meine Abwägungen. Denn ungefähr 20 m entfernt von mir schob sich plötzlich der riesige, graue Rücken eines tonnenschweren, ausgewachsenen Buckelwals aus dem Wasser. Genau in meine Richtung zielend, glitt er auf mich zu, krümmte sich langsam und versank im dunkelblau des Wassers. Gleich danach tauchte dahinter die riesige Schwanzflosse auf, so nahe dass ich die Seepocken die darauf wuchsen klar und deutlich sehen konnte. Dann verschwand auch diese mit einem leisen, gleitenden Geräusch im Wasser. Ein weiterer Adrenalinstoss durchschoss mich – die Mutter zielte geradewegs auf mich zu. Wenn sie mir irgendetwas wollte war ich geliefert – keine Chance ihr zu entkommen. Da ich mich auf dem SUP zur Seite drehen musste, um die Flosse zu beobachten, stand ich instabil auf dem Brett und geriet, nervös wie ich war, ins wanken und fiel platschend ins Wasser. Was für ein Timing! Schnell krabbelte ich wieder aufs Brett, setzte mich aber diesmal hin um nicht wieder das Gleichgewicht zu verlieren und versuchte mit schnellen Paddelschlägen aus der Bahn des Ungetüms zu kommen. In diesem Moment fühlte ich mich wie eine Ameise die irgendwo im Ozean auf einem Streichholz umhertreibt. Doch ich hatte mir umsonst in die Hose gemacht – gleich darauf tauchte die Mutter leicht rechts von mir auf und atmete mit lautem Schnauben aus. Das war bestimmt amüsant für sie! Danach trieben die beiden riesigen Meeressäuger weiter um mich herum und kamen immer wieder nahe mir an die Oberfläche. Einmal sah ich im Wasser unter mir sogar die weisse Seitenflosse eines der Tiere aufleuchten, während es unter mir hindurchschwamm. Obwohl absolut nichts passiert war, waberten in meinem Hinterkopf immer noch die Gedanken des auf mir landenden Wals umher und die vielen Adrenalinschübe hatten mich richtiggehend zittrig gemacht und ausgelaugt. Nur schon das niederschreiben dieses Moments lässt mein Herz erneut schneller schlagen, so intensiv war dieses Erlebnis und die Erinnerung daran. So gerne ich die Wale noch länger beobachtet hätte, so beendete ich unsere Begegnung schliesslich indem ich in Richtung Küste davonpaddelte. Etwas erleichtert stellte ich fest, dass sie das Interesse an mir verloren zu haben schienen und in Richtung Norden davonschwammen.







phantastisch – schön dass ihr das erleben könnt – albrecht